Chinesische UnternehmenEinkaufstour im deutschen Mittelstand
Chinesische Unternehmen kaufen sich im großen Stil in den deutschen Mittelstand ein: 13 Milliarden Euro haben die Asiaten allein 2016 investiert. Auch die Deutsche Mechatronics in Mechernich wurde vor drei Jahren übernommen.
Hoch und runter, hoch und runter – wie in einer Waschstraße sprühen viele kleine Düsen rhythmisch die weiße Pulverbeschichtung auf die Metallplatten. Wenn man länger davor steht, hat es fast schon etwas Meditatives. Dabei muss Tamy Grüner hoch konzentriert sein: In einem blauen Schutzanzug mit Atemmaske steht sie an der Anlage und beschichtet von Hand die Stellen an Kanten und Ecken, die die Maschine nicht erreicht.
https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-294069~player.html
Chinas Investitionen in deutsche Mittelstandsunternehmen nehmen zu
tagesthemen 22:15 Uhr, Gudrun Engel, WDR
Der chinesische Chef sorgte für Finanzmittel
Bei der Deutschen Mechatronics in Mechernich in der Eifel dreht sich alles um Blech – alle Farben und Formen sind denkbar. In kleinen Serien werden hier für große internationale Firmen Geräte und Gehäuse entwickelt und produziert. Der Name prangt groß an den Fassaden neben den Werkstoren – doch obwohl deutsch drauf steht, ist seit drei Jahren ein chinesischer Investor drin. Die Tri-Star-Gruppe aus Shanghai investierte 2013 einen höheren Millionenbetrag in den Mittelständler.
Für Tamy Grüner ist das nicht entscheidend: „Ob der Chef Chinese ist oder Deutscher, ist völlig egal – Mensch ist Mensch. Mir ist wichtig, dass meine Arbeit in der Pulverbeschichtung Spaß macht und die Kollegen nett sind. Das ist was zählt.“ Und die Stimmung unter den 320 Mitarbeitern ist gut. Wieder.
Der Millionendeal war die Rettung
Denn die Finanzkrise vor sieben Jahren hat die Firma ordentlich gebeutelt. Die üblichen Absatzmärkte brachen ein – Kurzarbeit, Entlassungen drohten. Eine wochenlange Hängepartie für die Mitarbeiter. Und so viele Arbeitsplätze in der Industrie hat die Eifel nun auch nicht zu bieten. Frisches Geld musste her, um die Maschinen zu erneuern und neue Märkte zu erschließen.
„Wir hatten Gespräche mit verschiedenen Interessenten geführt, aber am Ende hat es mit den Chinesen am besten gepasst“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Wolfgang Deinhard heute über diesen Deal. 90 Prozent seiner Anteile an der Firma hat er damals an die Chinesen verkauft – eine Millioneneinzahlung, um das Unternehmen wieder auf die Beine zu bringen.
Zwei Länder – gleiche Firmenphilosophie
Immerhin: Mit den Chinesen hatte man immer gute Erfahrungen gemacht – Vorbehalte gab es keine. Die gibt es bis heute nicht. Auch drei Jahre nach der Übernahme ist sich das Management in Mechernich sicher: Der Verkauf an die Chinesen war eine gute Entscheidung, denn, so schildert der geschäftsführende Gesellschafter heute: „Die denken ähnlich. Sie sind in ihrer Führungsphilosophie sehr nah an dem dran, was wir auch machen.“ Es gehe darum, Stärken auszunutzen, Vertrauen in die Belegschaft zu haben und schnelle Entscheidungen zu treffen. „Wir haben intensive persönliche Kontakte, keine Anonymität, in den Entscheidungen keine starren Vorgaben, sondern einfach ein sehr konstruktives und effizientes Miteinander“, so Deinhard.
Lieber Chinesen als Amerikaner
Also kein Grund zur Klage. Im Gegenteil – ein Investment von Amerikanern hätte man hier deutlich kritischer gesehen, denn da hat Geschäftsführer Andreas Vieweg keine guten Erfahrungen gemacht: „Amerikanischen Konzerne gucken in der Regel nicht danach, welche Strukturen schon vor Ort vorhanden sind und was gut funktioniert. Sie stülpen ihre Organisation einfach drüber. Da duzen sich zwar alle, aber alle denken auch ganz klar in anderen Hierarchien.“
In Mechernich siezt man die Geschäftsführung. Deutsche und chinesische Kollegen sind nahezu täglich im Austausch miteinander. Alle zwei Monate etwa fliegen die chinesischen Inhaber ein, um strategische Entscheidungen zu treffen. Verständigungsprobleme: Fehlanzeige. Denn einige der chinesischen Mitarbeiter haben in Deutschland studiert – für sie ist ein Besuch in der Eifel deshalb eine Art Heimspiel. „Die chinesischen Kollegen sind immer sehr nett und sehr zuvorkommend, wenn sie vorbeikommen. Sie begrüßen jeden und passen sich überall an“, erzählt Sonja Faßbender aus der Verwaltung. Nur einen kleinen Unterschied gebe es: „Die Chinesen trinken immer Tee. Bei uns gibt es bei Meetings eher Kaffee.“
Eine Fertigungshalle weiter: Es rattert, wenn die computergesteuerte Stanz-Laser-Maschine über das Blech fährt. Ein kurzer Knall, dann ist die gewünschte Form gestanzt. Dazwischen düsen Gabelstapler hin und her. 320 Mitarbeiter im Schichtbetrieb – die stolz sind auf das, was sie hier leisten: „Wir sind spitze in dem, was wir tun! Das macht uns so schnell keiner nach“, sagt Michael Pilsner selbstbewusst. Der Meister in der Abteilung „Trennen“ – also der Herr über die Stanz-Laser-Maschinen – hat deshalb keine Angst, dass die Chinesen nur das deutsche Know-How abgreifen könnten.
Keine Angst vor dem Wissenstransfer
Natürlich müsse man jeden Tag neu beweisen, welche Vorteile der Standort Deutschland habe, betont Vertriebsleiter Jürgen Carl. Dennoch: Es gebe immer noch viele Bereiche, in denen China noch nicht mithalten könnte – zum Beispiel bei der qualitativen Konstanz in der Serienfertigung. Und natürlich: das Label „made in germany“, das habe gerade in China immer noch einen sehr hohen Stellenwert.
Ein Grund für die Shoppingtour der chinesischen Investoren im deutschen Mittelstand: Gerade im Maschinen- und Anlagenbau haben viele führende Technologien entwickelt. „China will von dem Billigprodukte-Image weg. Die chinesische Regierung will deshalb ein qualitatives Wachstum statt eines quantitativen Wachstums erreichen. Sie will daher einige Industrien fördern. Das gilt besonders für den Maschinenbau, die Automobil- und Pharma-Industrie und auch die Chemiebranche“, berichtet Yi Sun – und sie muss es wissen. Die 41-Jährige ist die mächtigste Matchmakerin der Branche. Sie ist Partnerin bei Ernst & Young in Düsseldorf. Etwa 70 Prozent aller Deals, die zwischen Deutschland und China im vergangenen Jahr geschlossen wurden, gehen auf ihr Konto. Und das große Ziel der chinesischen Führung lautet „made in china 2025“. Darauf ist alles ausgerichtet. Daran arbeitet Yi Sun mit – und mit ihr ein Team aus deutschen Mitarbeitern und mehr als 40 Chinesen.
Beide Seiten profitieren
Für viele der Unternehmen entsteht so eine Win-Win-Situation: Die Chinesen erhalten Zugang zu neuen Märkten und hoher Qualität. Es ist aber keineswegs eine Einbahnstraße – sondern ein Austausch in beide Richtungen. Die Deutsche Mechatronics hat auch einen kleinen Standort in der Nähe von Shanghai – mit 25 Mitarbeitern. Und einen engen Austausch mit dem Mutterkonzern Tri-Star: „Ich wurde dort toll aufgenommen“, erzählt Bernd Esser. Der Mitarbeiter der Qualitätssicherung konnte bei einer Dienstreise Kontakte knüpfen. „Ich hatte den Eindruck, in China ist ein Unternehmen nicht nur ein Arbeitgeber, sondern eher eine Familie. Alle kümmern sich umeinander.“
Vielleicht passt der deutsche Mittelstand mit vielen familiengeführten Unternehmen auch deshalb so gut ins Portfolio vieler chinesischer Investoren. Die Shoppingtour der Chinesen ist jedenfalls noch lange nicht vorbei. Und bei der Deutschen Mechatronics in Mechernich findet man: Kein Grund zur Beunruhigung.