Der Fed-Chef kapituliert vor der mächtigen Wall Street
Was für einen Unterschied sechs Wochen doch machen können: noch auf der vorherigen Sitzung im Dezember gerierte sich der Präsident der US-Notenbank, Jerome Powell, als regelrechter Märkteschreck. Powell sprach – und die Kurse stürzten in den Keller. Gut 1,5 Prozent verlor der amerikanische Börsenindex Dow Jones damals binnen weniger Stunden. Damals hatte der Fed-Chef klargestellt, dass die Fed sich in ihrer Politik nicht von den Finanzmärkten treiben lasse und also mit ihrem Zinserhöhungskurs durchaus noch fortfahren könnte. Die durch die Krise aufgeblähte Bilanzsumme werde man im Autopilot-Modus weiter abschmelzen.
Doch diesmal ist alles anders. Auf der ersten Sitzung im neuen Jahr gab sich Powell plötzlich überraschend handzahm. Für weitere Zinserhöhungen bestehe vorerst kein Anlass, und selbst eine Zinssenkung als nächsten Schritt wollte er auf Nachfrage nicht kategorisch ausschließen. Und auch bei der Normalisierung der Bilanz könne man den Autopilot-Modus verlassen und flexibel reagieren.
Unmittelbar nach der Sitzung schossen die Kurse nach oben
Erstmals hatte sich Powell nach einer Zinsentscheidung ohne neue Fed-Prognosen den Fragen der Journalisten gestellt und damit sein Versprechen eingelöst, künftig nach jeder Fed-Zinssitzung eine Pressekonferenz einzuberufen. Powells erklärtes Ziel ist es, auf diese Weise die Transparenz der Fed zu erhöhen. Dass der US-Notenbankchef diese Premiere auch noch durch eine verbale Kehrtwende krönen würde, war für viele Investoren eine – reichlich freudige – Überraschung.
Für Powell selbst allerdings wurde die neue Transparenzoffensive zur eher heiklen Mission. In gleich drei Statements erklärte die Fed noch vor der eigentlichen Pressekonferenz den Schwenk. Neben der regulären Pressemeldung veröffentlichte sie noch ein umfangreiches Dokument zu den langfristigen Zielen der geldpolitischen Strategie. Ein weiteres Dokument widmete sich der Normalisierung der Bilanzsumme.
Unmittelbar danach schossen die Kurse nach oben. Der Dow Jones stieg in der Spitz um mehr als 530 Punkte. Der Dollar verlor deutlich an Wert, der Euro legte zeitweise bis auf 1,15 Dollar zu. Der Goldpreis markierte ein Acht-Monats-Hoch.
Die Investoren feierten damit auch, dass Powell sich scheinbar den Forderungen der Märkte und nicht zuletzt von US-Präsident Donald Trump zu beugen schien. Dieser hatte im Dezember seinen Unmut über die harte Haltung der Fed kundgetan und damit gedroht, er wolle den von ihm ernannten Powell aus dem Amt werfen.
„Der Schwenk von Jay Powell mag den schwächeren US-Daten geschuldet sein. Nach außen sieht es trotzdem wie ein Kotau vor dem Weißen Haus aus“, sagt Danielle DiMartino Booth, Strategin beim unabhängigen Analysehaus Quill Intelligence. „Powell befindet sich in einer misslichen Lage.“
Danach befragt, ob das Abrücken vom Zinserhöhungskurs ein Einknicken vor Trump sei, antwortete Powell kategorisch, dass die Fed einzig dem Ziel der Preisstabilität und der Vollbeschäftigung verpflichtet sei.
Powell bemühte sich während der rund 45 Minuten langen Pressekonferenz auch, die Euphorie der Märkte wieder etwas einzudämmen. Gleich mehrfach betonte er, dass man jetzt noch nicht wissen könne, ob nun bereits das Ende des Zinserhöhungszyklus erreicht sei oder doch nur eine Pause. Mit Blick auf die neue Flexibilität bei der Bilanzsumme stellte Powell klar, dass die Fed diese Maßnahme nicht als politisches Instrument sondern als rein technische Anpassung nutzen wolle.
Wird die Fed die Zinsen 2019 erhöhen?
Entsprechend ebbte ein Teil der Euphorie nach Powells Auftritt wieder ab. Der US-Börsenindex Dow gab im Anschluss rund 100 Punkte nach, und auch der Dollar erholte sich etwas. Mit weiteren Zinserhöhungen rechnen die Investoren nicht mehr, das signalisieren die Terminmärkte, an denen die Zukunft gehandelt wird.
Von einem sogenannten „Powell Put“ sprachen die Experten der amerikanischen Großbank Citi in Anspielung auf den „Greenspan Put“. Gemeint ist damit das implizite Versprechen, dass der oberste Dollar-Hüter im Zweifelsfall den Märkten zur Hilfe eilen wird, wenn diese in Turbulenzen geraten. Der frühere Fed-Chef Alan Greenspan hatte diese Politik im Jahr 1987 nach dem Börsencrash im Oktober erstmals eingeführt.
Seitdem stellen Investoren immer wieder die Frage, ob es den berühmten Put noch gibt oder nicht. Bisher schien sich die Fed unter ihrem neuen Präsidenten Powell davon verabschiedet zu haben. Doch die erste Sitzung des Jahres hat gezeigt, dass der Put noch längst nicht am Ende ist. „Dieses Treffen hat uns in unserer Meinung bestärkt, dass die Fed in diesem Jahr die Zinsen wohl nicht mehr erhöhen wird“, urteilt Citi-Ökonom Ebrahim Rahbari.